War das G3 wirklich besser als das G36?

Ein immer wieder aufkommendes Thema ist die Diskussion, welches Sturmgewehr der Bundeswehr das Bessere war. Ich möchte dem Ganzen mal etwas auf den Grund gehen und herausfinden, wer hier Recht hat.

Die beiden Systeme

Das G3 ist eine 1959 in die Bundeswehr als Standard-Sturmgewehr eingeführte Waffe im Kaliber 7,62x51 mm NATO. Das G36 ist der Nachfolger des G3 und wurde Ende 1997 an die Bw übergeben um in den folgenden Jahren das G3 abzulösen. Das G36 hat hierbei ein kleineres Kaliber in 5,56x45 mm NATO – der damalige neue Standard des Bündnisses.

Vorerst möchte ich nicht weiter auf die Details der Systeme eingehen. Zu meinem Hintergrund ist zu sagen, dass ich zu meiner Dienstzeit mit beiden Systemen gearbeitet habe und auch von beiden Waffen der Oberndorfer Knallstockmanufaktur aus unterschiedlichsten Gründen überzeugt bin. Welches ist nun aber Besser?

Ich bin mal so frei und nehme die Antwort vorweg... Keines! Warum ich zu dieser Aussage komme, erläutere ich gerne in den kommenden Zeilen.

Ein Standardsturmgewehr ist nicht nur eine „Ich-bezogene-Waffe“ sondern ein Zahnrädchen in der ganzen Maschinerie des Militärs. Es muss viel mehr leisten als das was viele anfänglich annehmen. Kriegführung an sich ist ein Sektor der sich innerhalb kurzer Zeit erheblich verändern und weiter entwickeln kann. Daher muss man auch das ganze Drumherum mit in die Bewertung einfließen lassen.

Hierbei sind die Grundlagen des G3 deutlich andere gewesen als die des G36.

Struktur eines Bw Infanterie oder Jäger Zuges

Früher war klar, jeder Soldat bekommt sein G3, als Schwerpunktwaffen hatte man das MG3 und die Panzerfaust 44 (leicht). Hier und da noch die MP2 (UZI) und die P1 für führende Kräfte. Bedeutet im Regelfall flog viel Blei im Kaliber 7,62 mm durch die Luft und das von nahezu jedem Soldaten im Zug.

Die Kriegführung verändere sich aber in den darauffolgenden Jahren erheblich und auch die Bundeswehr musste sich an damalige Lagen und Erfahrungen eigener und anderer Nationen (z.B. Vietnam, Panama, Afghanistan (Sowj.), Desert Storm, Somalia, Jugoslawienkrieg, Tschetschenien etc.) anpassen.

Hier kam es im Gegensatz zu den Jahren davor zu einer feineren Spezialisierung innerhalb der Zugstruktur. Bedeutet, man versuchte die jeweiligen Soldaten in der Einheit etwas mehr zu spezialisieren um für etwaige Lagen besser gerüstet zu sein. Genau hierein passt das G36.

In den Zügen waren plötzlich viel mehr spezialisierte Waffen vorhanden um die jeweilige Auftragslage besser erfüllen zu können. Bedeutet, man hatte die schwerere Panzerfaust 3 als Standarddosenöffner, das G3 ZF (später G28) in 7,62x51 mm für präzise Schüsse, Scharfschützen hatten das G22 in .300 WinMag für Entfernungen um die 800m, das MG3 (später MG4 und MG5) als Streuwaffe, die Granatpistole, die MP2 (später MP7) für Nahbereiche (meist von Teileinheitsführern geführt) und die P8 als Pistole. Weitere spezialisierte Waffen (z.B. Milan) mal ganz weggelassen.

Das G36 funktioniert in dieser Konstellation besser als das G3, denn der einzelne Soldat hatte nun neben dem Sturmgewehr noch weiteres Material mitzuführen und beim Feind sollte überdies noch weiterhin mehr als genug Blei ankommen.

Der Gewichtfaktor

Wenn man also die über die Jahre veränderte Zugstruktur mit ihren Spezialisierungen betrachtet und schlau genug ist zu wissen, dass auch die persönliche Ausrüstung der Soldaten an Gewicht deutlich zulegte, der weiß, dass man irgendwo Gewicht einsparen muss. Plötzlich trugen Soldaten Schutzwesten, Aramidhelme, Funktechnik, Optoelektronik für den Nachtkampf und und und...

Hier gibt es Grenzen des Sinnvollen und Zumutbaren. Also hieß es das mitgeführte Gewicht abzuspecken. Die Grundlage der G36 Entwicklung war es also ein Sturmgewehr für die Landesverteidigung in unseren Breitengraden zu entwickeln, welches so leicht wie möglich ist. Dies hat Heckler & Koch mit Bravour gelöst.

Kommen wir aber zu den Fakten...

Ein G3 wiegt ungeladen 4,38 kg ein G36 nur 3,63 kg. Hinzu kommt der wichtige Faktor der mitführbaren Munition für den Soldaten. Eine Patrone 7,62x51 mm wiegt ca. 24g während eine Patrone des G36 (5,56x45 mm) bei lediglich 11,2g liegt – also weniger als die Hälfte!

Wenn ein Soldat z.B. 120 Schuss mitführen soll, dann sind das beim G3 stolze 2,88kg während es beim G36 lediglich 1,34kg an Munitionsgewicht sind. Mit der Waffe zusammen sind dies dann...

G3 = 7,26kg
G36 = 4,97kg

...somit stolze 2,29kg Unterschied. Je mehr Munition darüber hinaus mitgeführt würde, desto größer würde die Diskrepanz. Es ist also klar, vor allem die immer wichtiger gewordenen luftverlastbaren Einheiten (z.B. Fallschirmjäger) können mit dem G36 einfach mehr Munition mitführen und/oder mehr Spezialwaffen. Weil solche Einheiten im V-Fall meist keinen Zugang zu direkten Nachschubwegen hätten, ist dies ein enorm wichtiger Faktor, welcher Einfluss auf Feuerkraft, Kampffähigkeit und Einsatzdauer hat.

Was das Gewicht und Kaliber bewirkt

Wenn eine Transall also eine Palette Munition mit einer Tonne Gewicht über einer FschJg Einheit abgeworfen hätte, wären für das G3 ca. 41.666 Patronen, beim G36 wären es stolze 89.285 Patronen unten angekommen... somit fast 47.000 Patronen mehr!

Natürlich hat eine 7,62 mehr „Dampf“ als eine 5,56. Man muss hierbei aber das „Große Ganze“ betrachten. Das G36 ist dabei mit seinem Drehwarzenverschluss im Vergleich zum Rollenverschluss auch einfacher in der Wartung und Reparatur. Auch ist es mit seiner Vergrößerungsoptik und dem zusätzlichen Rotpunktvisier schneller ins Ziel zu bringen und einfacher im Handling und insgesamt führiger. Weiter geht es mit Verschleiß, der natürlich bei einem stärkeren Kaliber auch bedingt, dass viel stärkere Kräfte auf die Baugruppen einwirken usw.

Meiner Meinung nach ist die 5,56mm zu schwach und die 7,62mm zu stark für ein Standardkaliber des Militärs. Während man mit der 5,56mm ziemliche Schwierigkeiten haben wird gängige Deckungen zu durchdringen, wäre das mit dem G3 deutlich besser, da erheblich stärkere Durchschlagleistung des Kalibers. Auf der anderen Seite möchte man seinen Gegner jedoch verletzen und nicht töten, denn dies bindet gegnerische Kräfte am meisten. Hier ist die 7,62mm leider "zu tödlich" und verfehlt damit Ihren nutzen im Gegensatz zum G36 Kaliber. Es geht also auch hier nicht nur um einzelne Punkte wie "Durchschlagkraft" oder "was hat mehr Bums" sondern man muss erneut die Zusammenhänge und Strategie der Kriegführung verstehen und dies auf die Anforderungen einer Waffe bzw. eines Kalibers umsetzen.

All dies in einem Landesverteidigungskonzept der 80er betrachtet gewinnt unweigerlich das G36, im Konzept der 60er das G3. Es ist aber leicht zu behaupten, das G36 sei eine schlechte Waffe, wenn die Rahmenbedingungen verändert werden. Wenn man statt im mitteleuropäischen Klima plötzlich in Afghanistan kämpft, aus gezieltem Einzelfeuer plötzlich Feuergefechte über Stunden werden, wenn die Kampfentfernungen deutlich höher werden usw. … Dafür wurde das G36 schlichtweg nicht konstruiert.

Bedeutet, das G3 als auch das G36 sind im Rahmen der aktuellen Auftragslage der Bundeswehr beides Systeme die nicht mehr zeitgemäß sind. Die Nato hat nicht ohne Grund das Standardkaliber von 7,62mm auf 5,56mm angepasst. Sieht man es nüchtern, sind beides die falschen Kaliber und der Mittelweg aus Gewicht und Durchschlagkraft müsste gewählt werden, sprich ein 6,5mm Kaliber mit einer Hülsenlänge irgendwo bei 48 bis 49 mm Länge.

Nun ist es aber so, dass die Vorgaben für die NATO maßgeblich von den USA bestimmt werden. Diese basteln bereits an derartigen Kalibern (mit Verbundwerkstoffhülsen statt Messing), doch bis es soweit ist, werden noch Jahre vergehen. Ein Alleingang mit der Einführung eigener Kaliber z.B. durch die Bundeswehr macht auch keinen Sinn, denn die NATO-Partner müssen sich gegenseitig mit Munition versorgen können. Wenn also niemand außer der Bw dieses Kaliber hat, wäre dies ein erheblicher Nachteil im Bereich der Versorgung.

Gibt es also einen Gewinner im Vergleich?

Wie anfänglich geschrieben – Nein. Beide Waffen hatten Ihre Zeit und waren auf die Struktur der Bundeswehr abgestimmt und erfüllten Ihre Zwecke zu ihrer Zeit gut. Ein G3 würde heutzutage ebenso erhebliche Nachteile mit sich bringen, wie ein G36 es in den 60-80er Jahren würde.

Einzig der emotionale Faktor sorgt für ewige Diskussionen zwischen G3 und G36. Soldaten die mit dem alten Sturmgewehr ausgestattet waren werden in den meisten Fällen dieses für das Bessere halten, während Soldaten ab den späten 90ern auf das 36er schwören. Das ist ok, jeder davon hat mit seinem Sturmgewehr so einiges erlebt und erlitten und die Treue zu halten ist eine feine Sache – aber man sollte dabei auch den Blick über den Tellerrand wagen und andere Meinungen, Umstände und Grundlagen akzeptieren können.

Ich zumindest werde nicht behaupten, dass Segelschiffe besser waren als Dampfschiffe oder umgekehrt, ohne den jeweiligen Nutzen im Kontext der jeweiligen Zeit zu betrachten.

Wie schaut es mit den Nachfolgern aus?

Das Heckler & Koch 416 oder die Haenel MK 556 – wer auch immer es letztlich werden sollte – sind beides technisch die besten Systeme die man sich vorstellen kann und haben beide auch den selben Nachteil, welchen sie an das NATO Kaliber bindet. Die Bw wird also ein Gewehr bekommen, welches in der aktuellen Lage besser mit unterschiedlichen Klimazonen und einer erhöhten Schussbelastung klar kommen wird, aber nicht den Soldaten das geeignetste Kaliber liefert, welches irgendwo bei 6,5mm liegen müsste.

Es ist also anzunehmen, dass der G36 Nachfolger schon in wenigen Jahren wieder in Frage gestellt wird, dann wenn die NATO endlich den Schritt zu einem 6,5mm Kaliber wählen wird und das Rumoren lauter wird, dass die 5,56mm zu schwach ist.

Warten wir es ab – aber all dies ist auch nur eine einzelne Meinung, was meint Ihr dazu?

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